Mauern einreißen und Brücken bauen
"Diversity is strength. Difference is a teacher. Fear difference, you learn nothing."
Hannah Gadsby
Einige Menschen in meinem Umfeld sprachen mich in den letzten Monaten schon mal darauf an, dass meine Kommunikation sich verändert. Das fällt mir selbst natürlich auch auf und passiert nicht nebenbei, sondern ist FRUSTRIEREND harte Arbeit, manchmal. Und eben eine bewusste Entscheidung, weil ich sehe, warum es sich lohnt, genauer hinzuhören.
Manche finden das eine tolle Entwicklung (die Bescheinigung, dass ich weniger FLUCHE irritiert mich allerdings! 😉 ). Manche sind inspiriert, selbst ein bisschen genauer darauf zu achten. Wieder andere sind genervt und auch das kann ich nachvollziehen.
Warum? Weil es mir lange genauso ging und manchmal noch geht. Weil die Reflexion von Dingen, die in der eigenen Welt „normal“ oder „klar“ sind, scheiße anstrengend ist! Weil es sich „falsch“ und nach „Fehler machen“ anfühlt – nichts daran ist besonders angenehm. Mein klassischer Move, wenn ich über solche Unterschiede stolpere, oder über Menschen, die mich herausfordern, waren vorher abwertende Kommentare und Scherze. So konnte ich mich distanzieren und weitermachen wie vorher, ohne mich inhaltlich damit auseinanderzusetzen.
Aktuell entscheide ich mich anders, weil ich den Sinn dahinter erkennen kann und das Gefühl habe, dass es mich sehr viel weiterbringt. Näher zu mir und an einen Punkt, der sich vollständig und echt anfühlt und weniger nach einstudierter Rolle oder „Performance-Modus“.
Größere Veränderungen in meinem Umfeld sorgten aber dafür, dass ich anfing, mich auf Neues einzulassen und mich zu hinterfragen. Oft braucht es für mich einen triftigen Grund, um die Arbeit auf mich zu nehmen und den Sprung aus der Komfortzone zu wagen. Diesen fand ich vor einer Weile im Kunst machen und in neuen Freundschaften, die nicht mehr den alten Regeln und Gewohnheiten folgten. Da sie mir wichtig sind, stand nicht zur Debatte, mich abzuwenden oder durchzusetzen, sondern nach Konsens zu suchen und gemeinsam Brücken zu bauen.
Ich war unzählige Male extrem frustriert und stolperte über mich selbst, alte Denkmuster und Strukturen. Hin und wieder fühlte es sich an wie das Kennenlernen einer neuen Kultur und einer komplexen Fremdsprache, obwohl ich sicher war, dass wir die gleiche Sprache sprechen würden. Es war zwischendurch schmerzhaft, bis ich zu der Erkenntnis kam, dass eine neue Art von Miteinander zu lernen nicht automatisch bedeutet, dass alles vorher „falsch“ war.
„Kommunikation ist immer ein Aushandlungsprozess“ blieb aus dem Prozess bei mir hängen und begleitet mich weiterhin als Reminder, dass Sprache sich immer wieder verändert, Menschen sich verändern und wir nie damit fertig sind, uns immer wieder neu aufeinander einzustellen – weil alles im Fluss ist. Es gab diverse Momente, in denen ich einfach das Handtuch schmeißen oder ein Stück aus meiner Tischkante beißen wollte. Beides ist (zum Glück für meine Zahngesundheit!) nicht passiert! 😉 Heute kann ich sehen, wie bereichernd es war, neue Perspektiven zu sehen, genauer einzutauchen und die Denkmuster dahinter (zumindest in Teilen) zu befreifen.
Ein paar Impulse, die mir in diesem Zusammenhang sehr geholfen haben, findet ihr in einem Blogbeitrag von Künstler Jay Nightwind, den ich gerne teilen möchte: https://jaynightwind.blogspot.com/2023/04/die-goldene-waage.html
Dort findet ihr z.B. eine spannende Übung, die eigentlich aus dem Ernährungsbereich stammt, aber auch auf Kommunikation übertragbar ist. Dabei geht es um das Zerlegen in einzelne Bestandteile und warum es einen Unterschied für den Informationsgehalt macht, wie viel Zeit ich investiere. Ich beschreibe mich selbst als „ungeduldig“ und „impulsiv“, in den meisten meiner Lebensbereiche. Das bedeutet, dass es mir ziemliche Mühe macht, Tempo zu reduzieren und genauer nachzudenken, was ich sage, statt spontan zu reagieren. Aber ich sehe auch, warum es hilfreich sein kann, sich mehr Zeit zu nehmen… Für intensives Zuhören, für eigene Gedanken und Antworten und auch für Entscheidungen oder die Gestaltung von Verbindungen.
Ist das alles gruselig? Hell, Yeah! Aber es lohnt sich manchmal, das auszuhalten, nach innen statt nach außen zu gucken und ein paar Mauern einzureißen, die im besten Fall KEINE tragenden Wände sind. 😉 Wenn tragende Säulen für die eigene Selbstwahrnehmung und Identität wegbrechen, wird es noch mal anders kritisch und dazu schreibe ich in nächster Zeit auch noch einen Artikel. Gehen wir aber mal davon aus, dass nichts außerplanmäßig einstürzt, außer den Teilen, die abgerissen werden sollen – dann kann mit den Einzelteilen der alten Mauern etwas komplett Neues aufgebaut werden, das zeitgemäßer ist. Ein Bild, das mich seit einer Weile begleitet, weil ich meine Veränderungen selbst als große Baustelle wahrnehme.
Ich kann für meinen Teil jedenfalls sagen, dass diese Veränderungen in meinem Denken und meiner Sprache dafür sorgen, dass gute Verbindungen im engen Umfeld noch stärker werden. Weil ich mich darauf einlasse, an mir zu arbeiten und offen damit umzugehen, statt vor den eigenen Baustellen wegzulaufen. Und ein paar Verbindungen, die vorher schon eher fragwürdig oder oberflächlich waren, brachen zusammen. Eine Entwicklung, mit der ich rückblickend sehr einverstanden bin, weil sie den Fokus auf das ermöglicht, was wirklich wichtig ist. Echte Verbindung: Zu mir, meinen Menschen und dem, was ich mache – Mellasachen, eben.
Und ich möchte schließen, wie ich eingestiegen bin – Mit einem Zitat:
"And that is the focus of the story we need: Connection."
Hannah Gadsby
BRÜCKEN BAUEN, STATT MAUERN
Weder Grenzzaun noch Mauer
bringen Frieden auf Dauer.
Wer im Kopfe klug und rein,
reiße die Barrieren ein.
MAUERN UM UNS UND IN UNS
In China hat man die Mauer gebaut,
vergebens auf ewigen Schutz vertraut.
Die Berliner Mauer ist gefallen,
die Mauer im Kopfe nicht bei allen.
Belfast, Mexiko und Nikosia;
Sperranlagen, wie in Palästina.
Latente Mauern zwischen Arm und Reich,
den Religionen, sowie Schwarz und Weiß.
Noch bestehen im Denken Barrieren
zu Regenbogenfahne und Queeren.
Mauern der Intoleranz und Schande
sind einzureißen in jedem Lande.
Solange Mauern noch Leute trennen,
gibt’s keinen Frieden auf unserer Welt.
Erst wenn dereinst das letzte Bollwerk fällt,
darf sich Homo sapiens auch Mensch nennen.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen